Wir sind seit ca. 16 Monaten zurück in Deutschland und einige Monate danach hab ich eine Predigt gehalten, wo die 4 Punkte hier genannt wurden. Sie gelten noch immer als das, was uns am meisten auffällt, seit wir wieder zurück sind. Allerdings etwas klarer und genauer formuliert im Vergleich zu November 2022.
Was macht die Deutschen besonders deutsch aus der Sicht von Rückkehrern, die ca. 16 Jahre lang mit dem Kopf im Ausland gelebt haben? Wir waren zwar immer wieder hier, auch mal zwei Jahre und vier Monate am Stück, aber der Fokus unserer Arbeit und damit der Fokus war immer in Nordafrika.
Recht haben wollen und zudem eine klare Idee, wie es zu laufen hat
Viele Deutsche haben Recht. Sie sind gut gebildet und kennen ihre Arbeitsbereiche und können daher gut Ratschläge geben. In Nordafrika haben uns die Leute auch häufig Ratschläge gegeben, weil es dort normal ist zu helfen, wenn jemand ein Problem hat. Also wird etwas geraten, auch wenn man nicht viel weiß und es nicht der eigene Arbeitsbereich ist. Aber man muss was sagen.
In Deutschland haben die Leute kein Problem damit zu sagen, dass sie nicht helfen können und nichts darüber wissen. Wenn sie aber was wissen, ist das zu 99% richtig und gut. Und das ist den meisten auch bewußt. Ich hab schon sehr gute Ratschläge bekommen von fast Unbekannten, z.B. im Fitnessstudio!
Allerdings kann die Art etwas nerven, wie dieses Wissen weitergegeben wird, nämlich sehr dominant und deutlich: So und nicht anders hast du das zu machen! Das mag zwar stimmen, aber es ist ein bisschen anstrengend, den Tipp in dieser Form anzunehmen.
Meist ist das auch gepaart mit einer ziemlich klaren Vorstellung davon, wie Dinge zu laufen zu haben und wie nicht. Sie müssen gut organisiert sein, schlecht gemacht, schlecht durchdacht ist nicht akzeptabel. Und es muss gut im Vorein organisiert sein, nicht erst letzte Sekunde (was in Nordafrika fast immer normal wäre).
Daran müssen wir uns jetzt noch gewöhnen! Spontaneität ist nicht so gefragt, gute Langzeitplanung ist das A und O – was wir mit unserer weiterhin internationalen Arbeit vielfach nicht leisten können.
Deutschland ist extrem reich
In Nordafrika hatten wir diverse Freunde und Bekannte, die gut über die Runden kamen. Aber auch einige, die fast nur von der Hand in den Mund lebten, wo wir regelmäßig Geld leihen oder schenken mussten, damit sie klar kamen. Das war normal!
In Deutschland sehen wir das wesentlich weniger: Viele kommen sehr gut klar. Natürlich gibt es Leute, die knapp sind, die leiden und auch welche die deutlich zu wenig haben. Allerdings gibt es auch ein Sozailhilfesystem, das funktioniert! Wohngeld, Sozialhilfe, Kindergeld und Kindergeldzuschuss – all das ist verfügbar und wird auch gezahlt. In Afrika gibt es das nicht, und wenn es ähnliches gibt, heißt es nicht, dass die Hilfe auch verfügbar und erreichbar ist. Letztlich ist die beste und zuverlässigste Sozialhilfe in Afrika die Familie, manchmal Freunde. Wenn jemand keine Familie hat, die helfen kann, sieht es schlecht aus.
Jetzt ist nicht das Problem, dass die Dinge so sind. Was wir problematisch sehen, ist die deutsche Unkenntnis: Kaum jemanden ist es bewusst, dass wir so reich sind, dass fast alle Deutschen zu den 10% reichsten der Weltbevölkerung gehören. Viele unserer Freunde haben eigenes Haus und sogar zwei Autos – sie dürften zu den 5% reichsten gehören.
Alles muss durch diskutiert werden und alle Risiken müssen erkannt sein
In Nordafrika haben wir uns häufiger über die in unseren Augen etwas seltsame Diskussionskultur beschwert. Auch Einheimische waren keine großen Anhänger der weit verbreiteten Art, sich schnell anzuschreien. Zudem hat der Ältere meist Recht.
In Deutschland sind wir dagegen nun überrascht über die sehr lebhafte Diskussionskultur, die alles auseinander nimmt und jedes Detail genauer betrachten muss und dann nie fertig wird. Auf der einen Seite sind wir angetan, dass man gut miteinander reden kann. Auf der anderen Seite redet man häufiger zu viel und entscheidet nicht – so kommt es uns vor: Es muss „ausdiskutiert“ werden.
Dabei versucht man, fast alle Risiken und Gefahren, alle Möglichkeiten, Optionen und Gelegenheiten genaustens aufzuschlüsseln und möglichst genau einzugrenzen. Das ist häufig einfach nicht möglich …
Termine, Termine, Termine und möglichst viel machen
Alle sind immer beschäftigt! Alle haben immer zu tun! Und diese Haltung ist ansteckend! Auch wir waren nach unserer Rückkehr sehr schnell voll verplant!
Dabei und das ist für uns das größte Problem, braucht man für alles einmen Termin. Spontan geht fast nichts! Das war in Afrika natürlich völlig anders: In offiziellen staatlichen Büros kam man einfach vorbei und musste dann warten und kam natürlich ab und zu umsonst, weil der Verantwortliche nicht da war. Warten war normal und konnte auch mal länger dauern. Zum Beispiel für unsere Aufenthaltsgenehmigung war nur eine einzige Person zuständig, wo man mindestens einmal für das Einreichen der Papiere hin musste und mindestens einmal fürs Abholen. Manchmal halt auch mehr!
Diese Person hat offiziell von 8 bis 16 Uhr gearbeitet, vor 10 Uhr war er aber nie da, manchmal nicht vor 11. Um Mittag herum musste man damit rechnen, dass er Pause machte.
Natürlich sind da Termine zuverlässiger, aber man lernt mit der flexiblen Zeitgestaltung umzugehen. Und gewöhnt sich dran!
Dies hier ein kleiner Einblick, natürlich völlig subjektiv und aus unserer „nordafrikanischen“ Perspektive! Wir haben schon mit diversen Freunden geredet, die in Asien waren und den ein oder anderen Punkt völlig anders sehen. Sie haben zum Beispiel mit Terminen und strikterer Zeiteinteilung weniger ein Problem. Wir beschreiben hier unsere ganz persönliche Sicht.
Kommentare sind immer willkommen 😀
(Foto von pixabay.com, skitterphotos, skyline von Göttingen)