Es ist ja ein altbekanntes Klischee über Afrika und Afrikaner: Sie kommen zu spät, weil Zeit einfach vorhanden ist und sich beeilen ist vom Teufel. „Wir haben Zeit, ihr habt Uhren“ so heißt es.
Das ist allerdings wirklich ein Klischee aus mehreren Gründen:
– Vielen ist bewusst, dass man Zeit „auskaufen“ muss. Man hat nicht ewig viel von ihr. Und gerade in der Wirtschaft ist Zeit Geld – auch in Afrika.
– Auch in Afrika regen viele sich auf, wenn jemand seine Arbeit nicht tut und es damit anderen Zeit kostet, wo sie auch was anderes machen könnten als warten.
– Viele Einheimische hier sind pünktlicher als ich!
Ein Bekannter erzählte mal lachend, er hätte ein Treffen mit Leuten aus der Sahara gehabt, die also zwei tausend Kilometer zu ihm reisen mussten. „Und sie waren auf die Minute pünktlich – allerdings zwei Tage später!“
Er betonte danach, dass dies überhaupt nicht die Schuld der Besucher gewesen sei: Sie mussten fliegen und das Flugzeug war einfach unpünktlich und wurde immer wieder verschoben. Sie hatten keine Chance, denn der Bus braucht ohnehin zwei volle Tage.
Stimmt es nun oder nicht?
Ja und nein, wie immer: Afrikaner haben auch Uhren und sie benutzen sie. Der Unterschied liegt in der Einstellung.
Zeit ist ein Qualitätsmerkmal. Ich verbringe Zeit mit jemanden und ehre ihn damit. Ich habe es nicht eilig, ich bleibe ein wenig, ich lasse mich überzeugen, noch länger dazu bleiben, obwohl ich bald gehen sollte.
Aber auch die Einheimischen regen sich auf,
wenn z.B. die Bürokratie Unmengen Zeit verschlingt,
wenn Angestellte ihre Arbeit einfach nicht machen und man wieder und wieder kommen muss,
wenn der Chef für seine Unterschrift nicht da ist, obwohl er das sollte.
Alles dauert länger, als es sein müsste. Folglich habe ich nach einer Weile die Regel aufgestellt: „Wenn du Geld zahlen kannst, damit etwas schneller geht, zahle!“ Die Geldbeträge sind häufig gering, aber die verlorene Zeit tut weh.
Warum ist es gut, warten zu lernen?
Unser klassisches Erlebnis für Warten war der Flug in die Sahara 2005: Wir wollten zum ersten Mal dorthin und der Flug sollte mittags um 12 Uhr gehen. Es passierte aber nichts, obwohl zahlreiche Passagiere warteten und der Flug auf der Anzeigetafel stand. Zwei französische Ehepaare, die mit uns fliegen wollten, hatten eine Rundreise geplant und änderten nach drei Stunden deren Richtung: Statt zuerst in die Wüste würde es nun zuletzt dorthin gehen. Wir aber warteten und lernten so nach und nach die anderen Passagiere kennen: Einen Handelsreisenden, ein Ehepaar auf Hochzeitsreise, mehrere Geschäftsleute und eben die Franzosen, die dann relativ schnell weg waren.
Schließlich sollte das Flugzeug am nächsten Tag um 8 Uhr morgens fliegen. Wir hatten noch mal bei Bekannten übernachten können und waren pünktlich da, mussten aber schnell fest stellen: Es gab einfach kein Flugzeug und der 8-Uhr-Termin hatte nichts mit einer neuen Maschine zu tun, sondern mit der Rückkehr des Flughafen-Chefs aus dem Urlaub. Der arme Mann wurde also von einer Traube von verärgerten Passagieren belagert, nachdem er wieder zur Arbeit erschienen war.
Schließlich schaffte er es, das Problem zu lösen: Für einen Kongress war eine Zusatzmaschine gebucht worden und wir verbliebenen Passagiere konnten die restlichen Plätze bekommen. Allerdings flog sie um 17 Uhr ab, wir hatten also ca. 30 Stunden gewartet.
Im Nachhinein erfuhren wir noch, dass die Franzosen, die nach drei Stunden aufgegeben hatten, ihre Botschaft informiert hatten, die daraufhin bei der Fluggesellschaft nachfragte, was denn da los sei. Dieser Druck sorgte wohl mit dafür, dass der Flughafen-Chef letztlich Erfolg haben konnte. Eine ausländische Botschaft sorgte für peinliche Rückfragen!
Jahrelang hatten wir noch Kontakt zu dem Ehepaar, das auf Hochzeitsreise war und lernten noch ihre drei Kinder kennen!
Entschleunigung
Natürlich hat man im Alltag häufig Termindruck und muss Dinge in bestimmten Zeitrahmen erledigen. Das hatten wir 2005 nicht: Wir waren auf dem Weg, ein neues Projekt zu starten. Ob und wie das möglich sein könnte, wussten wir nicht. Wir waren sehr offen für alles, hatten viele Ideen – und hatten Zeit!
Dies hat uns später geholfen, bei dem Tempo zu bleiben, dass nun mal in der Wüste vorherrschend ist: Man kann nicht schnell sein, es ist zu heiß! Auch die bürokratischen Hürden bei allen möglichen organisatorischen Dingen sind nun mal da und sie kosten immer Zeit. Auch heute ist es in diesem Land nicht möglich, seine Telefonrechnung online zu bezahlen. Ein Bankkonto haben die wenigsten. Daher werden Telefon, Wasser, Strom, Internet und vieles andere meist bar an der Kasse der entsprechenden Filiale bezahlt. Das kostet natürlich Zeit!
Dadurch wird das Leben langsamer, um einiges langsamer. Man kann vieles nicht so planen, wie wir es in Europa gewöhnt sind. Man muss immer flexibel sein, neben Plan A und B auch gleich C, D und E parat haben. In der Corona-Zeit kam uns dies zu Gute: Nichts ging nirgendwo so wie geplant. Ob ein Plan klappte oder eher nicht wusste man teilweise erst, wenn es so weit war.
Langsamer ist manchmal besser!
Kann man immer langsamer sein? Funktioniert das entschleunigte Leben der afrikanischen Wüste auch in Deutschland? Wir wissen es nicht, wir sind ja noch in Afrika. Allerdings habe ich mir für Deutschland folgendes vorgenommen:
– Nur 50% der Zeit wird verplant.
– Termine werden niemals sofort zugesagt, nur nach Bedenkzeit und Rücksprache.
– Es verbleiben mindestens drei freie Abende in der Woche.
– Arbeit am Wochenende wird mit freier Zeit in der Woche aufgewogen, wobei ein freier „Sabbat“
mit freier Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang möglich sein muss.
– Spontane Verpflichtungen und Termine sind immer möglich und sollten afrikanisch gelebt werden.
Im allgemeinen: Zeit ist ein wertvolles Gut, Zeit ist Leben, manchmal vielleicht auch Geld, aber in erster Linie Lebensqualität. Was in Afrika sicherlich manchmal zu viel statt findet wie „Rumstehen an Straßenecken und in Cafés“, ist in Deutschland sicherlich zu wenig. Man darf Zeit auch einfach mal verpleppern, faul sein, nicht effektiv!
Es ist gut und hilfreich, mit seinen Lieben zusammen zu sein, um einfach beieinander zu sein, ohne Ziel und Zweck. Es ist gut und hilfreich, mal länger nichts zu tun, die Gedanken schweifen zu lassen und sich aufs Atmen zu konzentrieren. Es ist gut und hilfreich, Gott zu danken und sich zu freuen, dass man lebt.