Es ist eine Geschichte von Friedrich Hebel: Ein junger Handwerker läuft durch Amsterdam und bewundert ein prächtiges Haus und das dazugehörige Schiff davor und fragt die Passanten, wem das alles gehört. Er bekommt die Antwort „Kannitverstaan“, was er für einen Namen hält, aber natürlich nur „kann nicht verstehen“ bedeutet. Später erhält er die gleiche Antwort, als eine Beerdigung vorbei zieht. Zufrieden, dass Herr „Kannitverstaan“ nichts mehr von seinem Reichtum hat, ist er mit seinem eigenen Schicksal wieder versöhnt.
Die Geschichte basiert natürlich auf einem großen Missverständnis: den fehlenden Sprach-Kenntnissen der Beteiligten. Also, eine Situation, die wir hier sehr gut kennen.
Immer wieder werden wir mit Situationen konfrontiert, die unklar sind, die wir nicht verstehen, in dieser Form so nicht kennen. Wir haben aufgrund von Lebenserfahrung zwar eine Idee, um was es geht, aber zumeist nur begrenzt und unvollständig. Die Frage: Was steckt wirklich dahinter, bleibt offen. Was hilft? Fragen!
Wo haben wir Fragen gestellt?
Natürlich stand ganz am Anfang der Fragenkatalog des Alltags: Wo bekommt man was? Wo sind die besten Plätze zum Einkaufen? Woraus muss man achten? Wann muss, wann sollte man den Preis verhandeln? Die Antworten auf solche Fragen sind natürlich immer leicht unterschiedlich je nach dem, wen man fragt.
Etwas komplexer wurde die Frage nach der Schule, die wir bereits vor der Ankunft im Land stellen mussten, weil der Älteste schon schulpflichtig war. Dabei waren die Antworten noch diverser, weil die befragten Familien unterschiedliche Ansichten hatten, teilweise Homeschooling bevorzugten und Schule allgemein kritisch sahen und andere Muttersprachen hatten als wir.
Wir hatten leider nie Hilfe von einer anderen deutschen Familie. Die Deutschen, die wir später trafen, waren von der GIZ, deutsche Entwicklungshilfe, oder der Botschaft. Ihre Möglichkeiten und Ansprüche waren völlig andere. Zudem hatten sie häufig eine Perspektive für 2-3 Jahre im Land und nicht länger. Wir wollten länger.
Noch komplizierter und mit vielen verschiedenen Antworten war die Frage nach Sportmöglichkeiten für die Kinder. Hier haben wir natürlich auch viel experimentiert.
Die Frage nach einer Kirchengemeinde war so schwierig, dass wir sie erst mal zwei Jahre lang gar nicht wirklich beantwortet haben. Wir waren zwar in der französisch-sprachigen Gemeinde, hatten dort aber so unsere Probleme und entschieden erst nach zwei Jahren, doch zu bleiben. Zwischenzeitlich haben wir kaum andere besucht, aber sehr viel gefragt.
Wo war es besonders komplex?
Am schwierigsten war der Autokauf (siehe auch hier die Artikel dazu auf dieser Webseite). Wir haben keine Ahnung von Autos, hatten zudem nur ein Budget für ein gebrauchtes, einfacheres. Wir haben uns dann erkundigt und uns relativ schnell auf einen Citroen C4 festgelegt. Dieses Modell kam sehr häufig vor und war erschwinglich. Den Wagen haben wir auch heute noch.
Der Entscheidung ging eine gründliche Recherche voran, vor allem im Internet. Also mussten wir schon mal die Frage stellen, wo man denn hier im Internet sucht. Es gibt eine Seite wie ebay Kleinanzeigen hier, die aber durch eine allgemeine Suche nicht gleich gefunden wird. Danach haben wir einen Angestellten gefragt, ob er helfen kann. Schließlich waren wir drei mal unterwegs, beim dritten Mal wurden wir fündig.
Kulturelle Unterschiede
Besonders spannend sind natürlich kulturelle Fragen. Wir erzählen häufiger das Beispiel der Wasserflaschen, die unsere Angestellten nie komplett austrinken. Die Frage, warum das so ist, konnte eigentlich keiner beantworten. Ein Freund meinte nur, das hätte seine Oma ihm so beigebracht. Wenn die Flaschen in den Müll müssen, bzw. ins Recycling, ist es extrem nervig, dass sie man erst noch leeren muss. Und obwohl wir alle 2-3 Wochen ca. 30 Flaschen leeren müssen, und darüber diskutiert haben, hat sich an ihrem Brauch, sie nicht zu leeren, nichts geändert. Tradition ist halt Tradition. Das macht man so und bleibt dabei.
Interessanterweise wurde die Frage von einem Bekannten in Deutschland wahrscheinlich korrekt beantwortet, der in Nordafrika geboren wurde: Er wies darauf hin, dass die Nordafrikaner eigentlich Nomaden aus der Wüste sind und dass man seinen Tee nie komplett austrinkt, weil da immer etwas Sand drin sein kann. Diese Gefahr ist nördlich der Sahara vor allem bei Flaschen mit engem Hals nicht mehr gegeben, aber wahrscheinlich wurde dort eine, zuerst durchaus sinnvolle Tradition geschaffen, die man nicht so einfach aufgibt.
Wie sieht unsere Frage-Strategie aus?
Nach einer Weile haben wir eine Strategie entwickelt, wie man gut Fragen stellt:
– Stelle immer W-Fragen, nie Ja/Nein-Fragen! Wie, wann, was, wozu, wer, wen, usw. helfen immer. Fragen wie „Ist das so richtig?“ eigentlich nie, weil die Antwort zu kurz wird, nämlich meist ja oder nein.
– Warum-Fragen helfen ziemlich selten. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie nicht oder nur bedingt beantwortet werden können. Bestes Beispiel ist der Rest in der Flasche: Das Warum kannte keiner. Die Frage, was könnte der Sinn dahinter sein, hätte schon eher geholfen!
– Stelle zu einem Thema immer die gleiche Frage! Man kann natürlich variieren, aber nur wenn man damit die Fragestellung klar verbessert. Durch die einheitliche Fragestellung kann man die Antworten besser vergleichen.
– Stelle die gleiche Frage mindestens drei Einheimischen! Ausländer, die schon über fünf Jahre da sind, können häufig auch gut helfen. Wenn alle mehr oder weniger dasselbe antworten, ist die Frage abgehakt. Fällt die Antwort immer unterschiedlich aus, ist die Frage entweder schlecht gestellt oder nicht genau genug und muss differenziert werden. Oder die Frage ist einfach nicht zu beantworten und es gibt keine Antwort. Auch das kommt vor.
– Sucht man Antworten in wichtigen Bereichen, sollte man Buch führen über die Antworten und alles gut notieren.
Was macht man mit Klischees?
Ein Problem bei vielen Fragen, vor allem kultureller Art, sind Klischees und Vorurteile. Man hat keine Chance, um Verallgemeinerungen herum zu kommen: „Die Leute sind halt so und so“. In gewisser Weise ist so was immer falsch und in mancher Hinsicht richtig.
Unsere Methode war es immer, die Klischees und Vorurteile willkommen zu heißen, aber nicht zu ernst zu nehmen und damit zu rechnen, dass der nächste neue einheimische Kontakt diesen völlig widerspricht: Persönlichkeit ist stärker als Kultur. Überall gibt es Leute, die den Vorurteilen und Klischees ihrer Volksgruppe oder ihres Landes so sehr widersprechen, dass sie eigentlich ganz woanders wohnen müssten…
Man kann das am einfachsten an Klischees über die Deutschen veranschaulichen: Wir sollen pünktlich, fleißig und humorlos sein. Aber jeder kennt wohl einen Deutschen, der eins von den drei Punkten nicht ist, oder sogar zwei oder alle drei.