In der Praxis gibt es im Land hier eigentlich nur drei Verkehrsregeln. Zwar gilt eine Straßenverkehrsordnung wie bei uns, die scheint aber mehr theoretischer Natur zu sein.
Nr. 1: Wo Platz ist, wird gefahren.
Dies ist völlig wörtlich zu nehmen: Wenn neben ein Auto noch ein weiteres passt, wird die Lücke geschlossen. Wenn man durch eine Einbahnstraße schneller weiter kommt und dort gerade niemand fährt, wird der Fahrer Gas geben und schnell die Abkürzung nutzen. Aus drei bis vier Spuren werden so fünf oder sogar sechs. Die Standspur wird grundsätzlich mit benutzt.
Dabei spielen Sicherheitsaspekte keine Rolle. Das Gleiche gilt für Fußgänger: Wo Platz ist, wird gegangen. Da häufiger Händler, Bäume oder Abfall den Bürgersteig blockieren, läuft man auf der Straße, wo man dann den Autoverkehr stört.
Beispiel: Auf dem Rückweg von der Schule ist eine Straße etwas breiter als gewöhnlich. Wenn wir kurz vor unserem Haus links auf diese Hauptstraße abbiegen wollen, kommt es vor, dass sich das Auto, das vorher hinter uns fuhr, rechts neben uns stellt – um ebenfalls links ab zu biegen. Meist vor uns!
Beispiel 2: Wir stehen auf der Autobahn im Stau. Es geht immer wieder ein bisschen voran, so dass die Hoffnung bleibt, es könnte doch noch gleich weitergehen. Irgendwann geht aber nichts mehr. Später merken wir: Es gab von Anfang an eine Vollsperrung wegen eines Unfalls. Da die Fahrer es aber gewohnt sind, allen Platz zu nutzen, ging es immer wieder ein bisschen weiter! Jede Lücke wurde geschlossen. Irgendwo fanden sie immer noch einen Meter!
Nr. 2: Jederzeit mit allem rechnen!
Jeder Verkehrsteilnehmer kann jederzeit alles machen, alles Denkbare und sei es noch so verrückt und unlogisch! Leute laufen auf die Straße, ohne zu gucken, Autos biegen rechts oder links ab, ohne zu blinken, Taxis bleiben plötzlich in Einfahrten oder auf Kreuzungen stehen, um neue Passagiere zu nehmen. Man überholt rechts, fährt wesentlich schneller als gut wäre, wechselt mehrere Spuren auf einmal!
Beispiel: Wir fahren aus unserer Ausfahrt, wo gerade ein Paar versucht, ein Taxi zu bekommen. Das Paar steht aber direkt in unserer Einfahrt, so dass wir nicht weiter können. Weiter links oder weiter rechts wäre Platz! Da gerade ein Taxi kommt, reagieren sie nicht auf Hupen, sondern warten und steigen dann ein.
Beispiel 2: Um nach Hause zu kommen, nehmen wir häufig eine sechs-spurige Straße, fast wie eine Autobahn. Hier muss man allerdings stetig damit rechnen, dass jemand ohne Blinker plötzlich nach rechts biegt oder nach links, plötzlich bremst oder die Spur nicht hält. Alles möglich! Immer!
Nr. 3 (die wichtigste): Es gibt keine weiteren Regeln.
Diese letzte Regel kann gar nicht genug betont werden. Alle weiteren Straßenverkehrsregeln, die offiziell auch hier gelten, werden in der Praxis nicht angewandt. Rechts vor links: Theoretisch ja, auf der Straße nein. Fußgänger haben auch rot, wenn Autos rot haben: Ja, aber nicht im praktischen Leben. Fußgänger sind eigentlich „lebendige Hindernisse“, die man akzeptieren muss. Sie werden nicht kritisiert, von Polizisten nicht korrigiert, sie machen, was sie wollen.
Beispiel: Frau hatte Vorfahrt, rechts vor links. Ein anderer Autofahrer fühlte sich aber dadurch missachtet und schimpfte wie ein Rohrspatz. Daraufhin fragten wir einen Freund, der vor ein paar Wochen seinen Führerschein gemacht hat: Ja, rechts vor links gilt auch hier. Eigentlich gibt es keinen Unterschied in der Straßenverkehrsordnung, wie wir sie kennen.
Beispiel 2: Wir fahren langsam in der Innenstadt und suchen einen Parkplatz. Rechts auf dem Bürgersteig reden zwei Männer miteinander, verabschieden sich gerade, der eine geht los und tritt auf die Straße. Man könnte jetzt erwarten, dass er nach links guckt, stehen bleibt und wartet. Er geht aber einfach, guckt gar nicht und läuft über die Straße, direkt vor unser Auto. Laufen ist hier eigentlich zu viel, schlendern passt besser für unsere Einschätzung: Hier ist das aber das gewöhnliche Tempo. Ob er jetzt wusste, dass wir langsam fahren, oder einfach gar nicht aufgepasst oder nicht nachgedacht? Keine Ahnung. Er geht!
Wie lernt man diese Dinge? Unserer Meinung nach muss man klar konzentrierter fahren als in Europa. Und zudem damit rechnen, dass Unfälle unausweichlich sind.
Irgendwann passiert es halt!